Buchtipp: Stephan Kostrzewa - Menschen mit geistiger Behinderung palliativ pflegen und begleiten

Stephan Kostrzewa
Menschen mit geistiger Behinderung palliativ pflegen und begleiten
Palliative Care und geistige Behinderung
Hogrefe Verlag, 2020 (2., vollst. überarb. u. erw. Auflage)

https://www.hogrefe.com/de/

Einige Bemerkungen zu diesem elementaren Thema vorab:
Die Gesellschaft grenzt allein mit Worten Menschen mit Behinderung von Menschen ohne Behinderung ab. Doch es macht Sinn, von „Menschen mit Behinderung“ zu sprechen. Indem man „Mensch“ vor „Behinderung“ setzt, wird sprachlich der Mensch über die Behinderung gestellt und wirkt so einer absoluten Reduzierung des Menschen auf seine Behinderung entgegen. Denn Behinderung entsteht zumeist im Miteinander. Behindert sein heißt dann auch immer behindert werden: Behinderung entsteht da, wo ein Rollstuhlfahrer keine Möglichkeit hat, eine Treppe zu nutzen.   Und sie entsteht da, wo Menschen die Fähigkeit zu trauern abgesprochen und ihnen so die Möglichkeit dazu genommen wird.
Für die Trauerbegleitung und das Zusammensein mit behinderten Menschen müssen Begleiter und Professionelle (Friedhofsmitarbeiter, Bestatter, Friedhofsgärtner) ihr Handeln immer wieder kritisch prüfen: Denn sie sind in Verantwortung gegenüber den Menschen, denen Behinderung zugeschrieben wird.

Menschen erleben Tod und Trauer sehr individuell. Auch Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung erfahren Verluste und trauern dabei auf ihre eigene Art und Weise, die nicht wesentlich von jener abweicht, die Menschen ohne Behinderung erleben. Doch stößt die Kommunikation mit Menschen einer geistigen Behinderung oft schnell an Grenzen. Dann kann das Thema „Tod und Vergänglichkeit“ zum Beispiel mit dem Werden und Vergehen in der Natur verdeutlicht werden. In vielschichtigen Erfahrungen erlebbar gemacht, beantwortet sich ein Teil dieser Fragen und Anfragen dann aus sich heraus.


• Welche Vorstellungen haben Menschen mit geistiger Behinderung vom Sterben?
• Sollten Mitarbeiter dieses schwierige Thema mit ihren Bewohnern ansprechen?
• Wie verarbeiten Menschen mit geistiger Behinderung das Sterben von Mitbewohnern?

Diesen und weiteren wichtigen Fragen nähert sich der Autor in 14 Kapiteln diesem leider allzu oft vernachlässigten Thema:

 

 

 

 

Buchtipp: Stephan Kostrzewa - Menschen mit geistiger Behinderung palliativ pflegen und begleiten

Im ersten Kapitel geht es um „Sichtweisen und Konzepte der Behindertenarbeit im Wandel“. Neben einem historischen Rückblick werden die Behindertenarbeit und das Älterwerden thematisiert. Im zweiten Kapitel geht es um die Frage, ob „Behinderten-Wohnstätten als Orte zum Sterben“ zu begreifen sind. Da „normale“ Pflegeeinrichtungen Orte des Sterbens sind, wäre dementsprechend eine Behinderteneinrichtung die Entsprechung.
Im dritten Kapitel beschäftigt sich Kostrzewa mit dem „Sterbeprozess und Todeskonzept bei Menschen mit geistiger Behinderung“. Es u.a. um Sterbeprozess-Modelle und um Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit nicht-behinderten Menschen.
Das vierte Kapitel ist ein wichtiger „Exkurs: Menschen mit geistiger Behinderung und Demenz“. Schon der Umfang dieses Exkurses zeigt, wie wesentlich diese Thematik auch zukünftig sein wird.
Das 5. Kapitel „Palliativversorgung und Hospizarbeit – eine Idee setzt sich durch“ beschreibt Modelle und Projekte von Palliative Care im Kontext „Behinderung“. Bedauernswert, dass es zu „Palliative Care“ und Menschen mit geistiger Behinderung noch immer kaum Weiterbildungen gibt. Dies betrifft auch das Thema „Trauerarbeit“.
Das 6. Kapitel „Palliativversorgung von Menschen mit geistiger Behinderung“
stellt verschiedene Aspekte der palliativen Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung dar. So geht es u.a. um das Total-Pain-Konzept, die Schmerzerfassung und Symptomlinderung in all ihren Facetten. Auch dieses Kapitel ist sehr umfangreich, was die Bedeutung unterstreicht. Kapitel 7 befasst sich mit der „Ethik in der palliativen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung“. Auch hier ergibt sich noch weiterer Informationsbedarf.
Im 8. Kapitel wird ein Projekt „Alsbachtal“ – Palliativversorgung in einer Wohnstätte für Menschen mit geistiger Behinderung. Es geht hier darum, dass dort gestorben werden kann, wo auch gelebt wird.
Die Thematik „Trauerarbeit und Abschiedskultur“ wird dann im 9. Kapitel erörtert. Hier wären noch weitere Ergänzungen, z.B. zu Ritualen, wünschenswert.
Kapitel 10. behandelt die wichtige „Netzwerkarbeit und Angehörigenintegration“. Sehr gut ist, dass die Zusammenarbeit mit Bestattern Erwähnung findet („Standard für die Zusammenarbeit mit den Bestattern, S. 281).
Kapitel 11 „Hilfen für Helfer“ beschreibt die Ängste und Befürchtungen der Mitarbeiter, in Kapitel 12 wird die Methode des „Palliative Care Mapping (PCM)“ vorgestellt: PCM ist eine Methode zur Überprüfung, ob das hauseigene Palliativkonzept auch beim Bewohner, den Angehörigen und Mitarbeitern akzeptiert wird.
Mit Kapitel 13 („Projektplanung und -durchführung) und 14 („Aussichten und Visionen - Behindertenhilfe und Altenpflege gemeinsam“) wird das umfangreiche Werk abgeschlossen.
Die Anhänge (u.a. Gesprächsleitfaden, Checkliste, Reflexionsbogen  + Adress- und Linkverzeichnis etc.) komplettieren den Band.

Das Fachbuch „Menschen mit geistiger Behinderung palliativ pflegen und begleiten“ eignet sich hervorragend für Einrichtungsleiter, Heilpädagogen, Heilerziehungspflegende, Pflegefachkräfte, Pflegeassistenten, Seelsorgende und Sozialarbeitende sowie Bestatter. Es führt verständlich in die Welt der Palliative Care für Menschen mit geistiger Behinderung ein.

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Stephan Kostrzewa
Menschen mit geistiger Behinderung palliativ pflegen und begleiten
ISBN: 9783456859545
2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2020, 408 Seiten
https://www.hogrefe.com

 

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