Buchtipp - Andreas Timmermann-Levanas, Andrea Richter: “Die reden - Wir sterben”

Andreas Timmermann-Levanas, Andrea Richter
Die reden - Wir sterben
Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden

Der Ruf der Bundeswehr ist derzeit nicht der beste: Ob es die Auslandseinsätze sind, die sich in der Kritik befinden oder Spannungen innerhalb des Heeres: Die Entscheidungen des bisher beliebten Verteidigungsministers Karl Theodor zu Guttenberg empören viele Angehörige der Bundewehr als auch Bundesbürger. Und ob der Kampf „für den Frieden“ am Hindukusch sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Über 40 deutsche Soldaten sind gefallen, Zehntausende sind traumatisiert. Alltag in Deutschland. Erst jetzt werden die Mängel an Ausbildung und Ausrüstung der Truppe diskutiert.
Aber in dem Buch von Andreas Timmermann-Levanas und Andrea Richter geht es um den Umgang der Bundeswehr (bzw. des verantwortlichen Ministeriums) mit Soldaten und deren Angehörige, die durch Einsätze zu Invaliden wurden bzw. ums Leben kamen.
Nicht erst seit den ISAF-Einsätzen in Afghanistan/Usbekistan wird deutlich, dass die Krisenintervention nach Einsätzen unzureichend ist. Dies ist umso unverständlicher, da es eindeutige negative historische Beispiele anderer Nationen gibt: Frankreich mit dem Indochinakrieg (Erster Indochinakrieg) und die USA mit dem Vietnamkrieg (Zweiter Indochinakrieg).

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Aktuelle Diskussion zum Thema in der Sendung "AnneWill" (ARD) am 23.01.2011:
"Im Krieg gedient, zu Hause ausgedient - lassen wir unsere Soldaten im Stich?"

AnneWill

 

Timmermann-Levanas beschreibt sehr persönlich seine Erfahrungen in Auslandseinsätzen und zu Hause, die den Leser bestürzt zurücklassen. Aber es wird deutlich, dass das Ignorieren von „Defiziten“ wie PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) bei der Bundeswehr (und hier besondes das medizinische Personal) Methode hat: „Wo kein Krieg, da kein Trauma – die PTBS-freie Bundeswehr (S. 111f.)“ heißt die Devise. Denn solange es „Friedenseinsätze sind und sich Deutschland (die Bundeswehr) nicht im Krieg befindet, kann es auch derartige Symptome nicht geben. Das „Psychosoziale Netzwerk“ (S. 121) wird von den Autoren als „einzige große Masche“ beschrieben: Die Bundeswehr sorgt vor, währen und nach einem Einsatz mit dem so genannten „Drei-Phasen-Drei Ebenen-Konzept“ für Unterstützung. Doch das Eigenlob ist unberechtigt, da das Konzept nicht richtig funktioniert: Die Betreuung der Betroffenen ist unzureichend (ein Truppenpsychologe für bis zu 10.000 Soldaten). Das gleiche Bild ergibt sich bei den Truppenärzten. Ein weiteres „Luftschloss“ ist das Recreation-Center: Hier sollen Soldaten, die extremen psychischen Belastungen ausgesetzt sind, in einem einsatznahen Raum für einige Tage Erholung finden. Auch dies findet, laut den Autoren des Buches, kaum bzw. gar nicht statt.

Und ebenso tragisch verhält es sich bei den verstorbenen Soldaten: Die Angehörigen müssen um Anerkennung und Unterstützung kämpfen, obwohl sie dafür kaum die Kraft haben.
„Die Bundeswehr möchte keine Untersuchung über diese (gemeint ist Suizid; Anmerk. des Verf.) Problematik. Andere Nationen sind schon weiter. Bereits 2008 stellten US-Militärärzte fest, dass jeden Monat 1.000 Veteranen versuchen würden, sich das Leben zu nehmen. Im Jahr 2009 starben mehr US-Soldaten durch Suizid (334) als auf dem Schlachtfeld im Irak (149).“
Für Soldaten/Veteranen scheinen andere Regeln zu gelten:
„Die Betroffenen aber sind kaputt und schwach, sie rufen nicht die anonyme Hotline im Ministerium an. Sie haben keine Kraft mehr, sie gehen noch nicht einmal auf die Straße, um zu demonstrieren, noch nicht. Sie leiden ruhig, sie sterben leise und zurückgezogen. In Berlin gibt es keine Massendemonstration von kriegsversehrten Veteranen und den Witwen der gefallenen Soldaten. Die unverheirateten Lebenspartnerinnen gefallener Soldaten, die nun alleine die gemeinsamen Kinder großziehen, die nie ihren Vater kennen lernen werden, begehren nicht auf, dass sie schlechter gestellt sind als „normale“ Ehepartner (S. 233).

Es ist erschreckend, wenn Andreas Timmermann-Levanas, Andrea Richter in ihrem Buch konstatieren: „Deutschland hat sich eingerichtet mit den schweigenden und leidenden Veteranen und deren Familien. Wir akzeptieren Zustände, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland üblich waren, in denen die Ablehnung der Versorgung Standard war. Es wäre nicht zu verantworten, wenn wir alle erst den Amoklauf eines PTBS-Veteranen abwarten müssten, um endlich aufzuwachen.

"Die reden - Wir sterben": Diese traurige Bilanz zieht der langjährige Berufssoldat und Oberstleutnant a. D. Andreas Timmermann-Levanas. Er schildert erschütternde Erlebnisse und kritisiert grundsätzliche Probleme der Einsatzarmee.
Die Bebilderung des Buches (61 Bilder) unterstützt díe Beschreibungen der Autoren in beeindruckender Weise.

Zu den Autoren:
Oberstleutnant a. D. Andreas Timmermann-Levanas ist Staats- und Sozialwissenschaftler und ehemaliger Berufsoffizier mit 24 Dienstjahren. Er war als Pressesprecher der ISAF-Mission in Afghanistan und davor in Bosnien im Einsatz und hatte Kontakt zu Außen- und Verteidigungsministern. Er überlebte mehrere Anschläge, 2009 musste er die Bundeswehr aus gesundheitlichen Gründen verlassen und gründete die Deutsche Kriegsopferfürsorge, die Wehrdienstbeschädigten und ihren Angehörigen hilft.

Andrea Richter ist Historikerin, Journalistin und Autorin. Sie erhält den Deutschen Biographiepreis 2010.

268 Seiten, 4-farbiger Bildteil 32 Seiten
EAN 9783593393421
€ 18,90 (inkl. MwSt.)
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