Buchtipp: Julia Weber/ Daniel Berthold - Am Lebensende zu sich selbst finden

Julia Weber/ Daniel Berthold
Am Lebensende zu sich selbst finden
Hogrefe Verlag, 2020

Der Ratgeber „Am Lebensende zu sich selbst finden“ ist beschrieben als „ein Selbsthilfebuch, das die angstinduzierte Abwärtsspirale der Selbstentfremdung unterbricht und stattdessen den Selbstzugang fördert.“

Das Thema - die Selbststärkung von schwerstkranken Menschen und deren Angehörigen - ist bislang eher selten bearbeitet worden. Dies nun mit diesem Buch geändert zu haben, ist ein Verdienst.
Durch die Belastung der Pflege von Schwerstkranken und Sterbenden wird das eigene Leben, werden die eigenen Bedürfnisse verdrängt und ignoriert.
Die Herausforderungen der letzten Lebensphase können Betroffene in eine innere Entfremdung führen. Sie durchleiden ihren Alltag dann im Tunnelblick, in innerer Erstarrung und Handlungslähmung. Forschungsbefunde zeigen, dass ähnliche Symptome auch bei Angehörigen und auf professioneller Seite in Palliative Care auftreten. Denn nicht selten werden aufgrund vielfach fordernder Aufgaben und Themen bei zugleich hoher Entscheidungsverantwortung innere Grenzen erreicht.
Aus psychologischer Sicht stehen diese Phänomene mit einem erhöhten negativen Affekt in Zusammenhang. Dadurch ist der Zugang zu den eigenen Bedürfnissen, zum eigenen Selbst (welches in unbewussten Gehirnarealen zu verorten ist), verschüttet. Die Methoden des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®), die im praktischen Teil für die Selbstanwendung beschrieben werden, zielen direkt auf die Aktivierung des Selbst. Dadurch sind Betroffene in der Lage, ihre Gefühle (wieder) wahrzunehmen und zu regulieren, den Überblick über die aktuelle Situation zu erlangen und selbstbestimmte, gute Entscheidungen zu treffen.

Im Geleitwort von Maja Storch wird dem Leser verdeutlicht, dass jede Geburt zugleich auch ein Todesurteil sei – grundsätzlich eine Binsenweisheit. Doch wie wir wissen, ist es dem Menschen (scheinbar) nicht möglich, dies wirklich zu verinnerlichen. Alllzu oft ist jeder von seiner "Unsterblichkeit" überzeugt. Um am Lebensende zu sich selbst zu finden, sei dieses Buch über den Umgang mit dieser Unausweichlichkeit geschrieben worden. Im Vorwort von Julia Weber und Daniel Berthold werden die Inhalte der einzelnen Kapitel dann kurz vorgestellt.

Buchtipp: Julia Weber/ Daniel Berthold - Am Lebensende zu sich selbst finden

Es folgt das Kapitel „Das Lebensende als Herausforderung für Schwerstkranke, Angehörige und Begleiter“. Es gehe niemals darum, so Weber und Berthold, die Angst, Wut und Traurigkeit einfach zu tilgen, sondern Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Auch ein Grundsatz jeder Trauerbegleitung. Doch das Denken und die Aufmerksamkeit seien in bestimmten Situationen nicht mehr willentlich steuerbar, so dass es schwierig wird, dem Gefühlschaos zu begegnen.
Teil I „Theoretische Grundlagen der Zürcher Ressourcen Modells“ wird mit einem Kapitel „Zwei Systeme: Der Verstand und das Unbewusste“ eingeleitet. Das Zürcher Modell ist ein Selbstmanagementtraining, das Menschen dabei unterstützen soll, die eigenen Gefühle zu regulieren und neue Handlungskompetenzen aufzubauen.

Es wird zwischen einem bewussten und einem unbewussten System zur Erklärung psychologischer Phänomene unterschieden bzw. zwischen Verstand und Unbewusstes. Der Verstand plant strukturell, in Abfolge - das Unbewusste dagegen eher schnell und mitunter „chaotisch“. Das berühmte „Bauchgefühl“ stellt hier gutes Beispiel dar. Ein weiteres Kapitel gilt dem Thema „Funktionen des Selbst“. Das Selbst sei insbesondere mit den Gefühlen und Körperfunktionen, also dem autonomen Nervensystem vernetzt. Auch lässt sich die eigene Gefühlswelt darüber regulieren. Die Auswirkungen des eigenen Handelns im Kontext eigener, physischer Auswirkungen lassen sich so bewerten. Beim Kapitel „Das Selbst am Lebensende“ (S. 41ff.) wird dann auf den wichtigen Aspekt verwiesen, dass unbewältigter (negativer) Stress und negative Gefühle die Funktionen des Selbst hemmen könnten. Somit dürfte das Selbst eine äußerst wichtige Ressource zur Bewältigung sein

Teil II „Die Anwendung der ZRM-Methoden in Palliative Care“ befasst sich dann im Praxisteil A mit „Sterbende und Angehörige“ und zwei Beispiele von schwerstkranken Menschen, die von der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung betreut werden und bei denen die ZRM-Methoden angewendet werden.
Im Kapitel „Gefühle in Sprache übersetzen und kommunizieren“ geht es um eine „Affektbilanz“, in der positive und negative Gefühle gegenüber gestellt werden.
Im Kapitel „Die eigenen Gefühle regulieren“ soll das Selbst der Schwerstkranken mit Bildern aktiviert werden. Die Bildwahl (S. 67) spielt hierbei eine wesentliche Rolle.
Im ZRM findet ein „Dolmetscherprozess“ statt, der bei der Arbeit mit Bildern ansetzt, so die Autor:innen. Denn Mithilfe von Bildern bekomme das Selbst die Chance, seine Bedürfnisse auf das betrachtete Bild zu projizieren.
„Die Reise zum Selbst“ ist ein Abschnitt, in dem es um bestimmte Meditationstechniken geht, die bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen...
Dieser Aspekt soll im folgenden Kapitel „Den Selbstzugang stärken und festigen“ intensiviert werden. So stelle das Motto-Ziel eine neue Haltung, eine Änderung der Einstellung zum ursprünglichen Thema dar.
Von „Sofortmaßnahmen gegen unerwünschte Automatismen“ handelt das folgende Kapitel. Hier kann mit der Methode der Wenn-Dann-Pläne („Wenn X passiert, dann mache ich Y“, S. 125) gearbeitet werden.
Der zweite Praxisteil B „Professionelle Begleiter in Palliative Care“ thematisiert im ersten Kapitel dieses Teils die „Professionelle Nähe“. Hier werden zwei weitere ZRM-Methoden beschrieben, um das neue neuronale Netz zusätzlich zu stabilisieren.

 

Herausgeber sind Dr. Julia Weber, Diplom-Pädagogin und Dr. Daniel Berthold, Diplom-Psychologe, Psychoonkologe und Palliativpsychologe am Universitätsklinikum in Gießen.

https://www.hogrefe.com
Am Lebensende zu sich selbst finden
ISBN: 9783456859729
1. Aufl. 2020, 160 Seiten
24,95 €

 

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