Buchtipp - Thomas Macho, Kristin Marek (Hg.): “Die neue Sichtbarkeit des Todes”

Thomas Macho, Kristin Marek, (Hrsg.)
Die neue Sichtbarkeit des Todes

Vorweg: Das Buch ist ein Meilenstein zum Thema "Tod".
Zu Beginn steht die deutsche Erstübersetzung der Arbeit "Die zwei Fassungen des Bildlichen" von Maurice Blanchot, einem französischen Literaturtheoretiker. Er skizziert den Prozess des Sterbens als Bildwerdung und damit den Tod als Urszene der bildenden Kunst. Aufgelockert wird dies durch Gespräche von Thomas Macho mit Beate Lakotta und Walter Schels ("Noch mal Leben vor dem Tod"), Hartmut Böhme spricht mit dem Fotografen Hans Danuser, der u. a. Körperlandschaften von Toten fotografiert.

Wilhelm Fink Verlag

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Die bildende Kunst spielt in der "neuen Sichtbarkeit" ein entscheidende Rolle: Sue Fox’ erschütternde Leichen-Fotografien sind in Farbe abgebildet und werden von Helga Lutz als "Proben mit dem Unerträglichen" interpretiert.
Die Werke der Mexikanerin Teresa Margolles werden gezeigt und von Thomas Macho als "Ästhetik der Verwesung" analysiert. Rebecca Scott Bray bespricht Foto-Arbeiten von Jeffrey Silverthorne, der über sich selbst schreibt: "Bilder zu machen ist Sex mit der Zeit. Jede Aufnahme, jeder Orgasmus besiegt den Tod, wenn auch nur für einen Augenblick."
Dann werden die "Praktiken der Bestattung/Strategien der Erinnerung", "Repräsentationen toter Körper", "Die Toten in den neuen Medien" behandelt.
Weiter erfährt man die Umstände, unter denen Papst Formosus (891-896) neun Monate nach seinem Tod als leibhaftiger Leiche der Prozess gemacht wurde. Im nächsten Aufsatz geht es um "Johannes Paul Supertod". Die moderne Entwilckung der Kryonik (Tieffrostung von Leichen für ihre künftigen Wiederbelebung) wird ebenfalls beleuchtet.
Moderne Forensiker (Rechtsmedizin, Pathologie) werden zur Praxis der Spurensuche befragt und das interessante 1000Fragen-Projekt der Aktion Mensch, ein Laiendiskurs über Expertenfragen, in Auszügen wiedergegeben.
Selbstverständlich dürfen die exotischen Bestattungsformen (z.B. die Transformation der Leiche zum Diamanten) und das sich verändernde Berufsbild der Bestatter nicht fehlen. Interessant, wie beispielsweise die neuen Impulse im Bestattungswesen interpretiert werden (Antje Kahl) wenn man berücksichtigt, dass es sich hier nur um marginale Entwicklungen handelt. 
"Die neue Sichtbarkeit des Todes" besticht durch die Souveränität im Umgang selbst mit den extremen und bizarren (teilweise entsetzlichen) Aspekten des Todes. Es wird auf fast leichte Art ein Zugang zu diesem äußerst sperrigen Thema ermöglicht, der in seiner Bandbreite bisher so nicht vorhanden war. Das Buch hat einen wissenschaftlichen Anspruch, ist jedoch jedem interessierten Leser sehr zu empfehlen.

Wilhelm Fink Verlag

Thomas Macho, Kristin Marek, Hrsg.
Die neue Sichtbarkeit des Todes
2007, 607 Seiten,
zahlr. zum teils farb. Abb., Leinen mit Schutzumschlag, EUR 49.90
ISBN: 978-3-7705-4414-1

 

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