Buchtipp - Katrin Göring-Eckardt (Hg.): “Würdig leben bis zuletzt”

Katrin Göring-Eckardt (Hg.): "Würdig leben bis zuletzt. Sterbehilfe. Hilfe beim Sterben. Sterbebegleitung. Eine Streitschrift".

Das Plädoyer beginnt mit einer notwendigen Aufklärung über den Stand der Dinge. Das Grundanliegen des von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages (und kulturpolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im Bundestag), Katrin Göring-Eckardt, herausgegebenen Buches ist: Aufklärung und Förderung der öffentlichen Diskussion zum Thema "Sterbehilfe/Sterbebegleitung". Das Sterben soll medizinisch erleichtert werden und begleitet sein von Angehörigen und professionellen Helfern.

Wie Barbara Dobrick in ihrer Rezension zum Buch anmerkte , passt der Bergriff Streitschrift nicht.
Das Buch ist viel mehr: nämlich ein fundiertes Plädoyer in zwölf Aufsätzen für ein gutes Lebensende.
Das Buch beginnt mit der grundlegenden Aufklärung über den Stand der Dinge. Da geht es um die Erläuterung der selbst von Ärzten nicht eindeutig verstandenen Begriffe wie passive und indirekte Sterbehilfe. Es geht um die Empfehlungen der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", um die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Thema Sterbebegleitung und um Erfahrungen aus Holland, wo die Tötung auf Verlangen seit 2002 in eng umrissenen Grenzen nicht mehr strafbar ist.

Gütersloher Verlagshaus

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In der heutigen Debatte um „Sterbehilfe“ prallen zwei Grundwerte aufeinander: Selbstbestimmungsrecht und Lebensschutz. Daher ist die Diskussion emotional hoch aufgeladen und gleicht einem Kulturkampf. Eigentlich, schrieb einmal die „Zeit“, sei es gar keine Debatte, sondern eine „öffentliche Aufwallung“. Sicher: Das Thema „Tod“ macht Angst - aller öffentlichen Diskussionen und medialer Präsenz zum Trotz. Es mahnt an die eigene Endlichkeit, es ruft mitten im Leben Bilder der größten Lebenskatastrophe hervor, des Todes. Daher scheint es nur logisch, dass viele kaum in der Lage sind, sich auf das Thema einzulassen, und sich hinter Grundsätzen und Grundwerten verschanzen. Oft werden die Begrifflichkeiten aber vermischt bzw. falsch verwendet. Im Grunde sind es vier Formen der Sterbehilfe, die definiert werden müssen:

1. Aktive Sterbehilfe: Sie wird juristisch „Tötung auf Verlangen“ genannt und ist in Deutschland – wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern – verboten. Nach Paragraf 216 des Strafgesetzbuchs wird sie mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft, auch wenn ein unheilbar Kranker ausdrücklich darum gebeten hat. Bei aktiver Sterbehilfe wird dem Patienten ein tödlich wirkendes Medikament verabreicht. In den Niederlanden und in Belgien ist aktive Sterbehilfe seit 2002 straffrei.
2. Passive Sterbehilfe: Damit wird der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bezeichnet oder der Abbruch einer Behandlung bei einem unheilbar Kranken. Auch wenn ein Arzt lebenserhaltende Apparate ausschaltet, gilt das als passive Sterbehilfe, auch wenn er damit aktiv ins Geschehen eingreift. Passive Sterbehilfe ist straffrei.
3. Indirekte Sterbehilfe: So werden Behandlungen genannt, die die Schmerzen eines unheilbar Kranken lindern, dabei aber zu einer Verkürzung seines Lebens führen können. So kann zum Beispiel bei einer starken Morphiumgabe die Atemtätigkeit beeinträchtigt werden. Die indirekte Sterbehilfe ist in Deutschland nicht strafbar.
4. Beihilfe zur Selbsttötung: Es wird auch vom begleiteten Freitod oder vom assistierten Suizid gesprochen. Eine Sterbehilfeorganisation, ein Arzt oder eine andere Person besorgt ein tödliches Medikament, das Mittel muss der Patient sich allerdings selbst verabreichen. In der Schweiz ist die Beihilfe zur Selbsttötung legal, solange keine „selbstsüchtigen Motive“ dahinterstecken. Daher wurden drei Vereine gegründet, die den assistierten Suizid vornehmen, „Exit“ (ca. 50 000 Mitgliedern), „Dignitas“ (ca. 6000) und „Ex International“ (ca. 700). Dignitas ist auch in Deutschland tätig.

Interessant und wertvoll an vorliegendem Band ist dann auch die praktische Hinwendung zu dieser komplexen Thematik: U.a. geht es um "die Grenzen der Medizin am Lebensende" und die unterschiedlichen Sichtweisen zu invasiven medizinischen Maßnahmen - nämlich bei gesunden und kranken Menschen (Stephan Sahm und Steffen Simon).
So heißt es: "Selbst wenn die Lebensverlängerung kein sinnvolles Ziel mehr ist, endet die medizinische Behandlungspflicht nicht. Sie ändert lediglich ihr Ziel, hin zur alleinigen Leidensminderung. Leiden lindern gehört aber zu den vornehmsten Aufgaben der Medizin."
Das hört sich allerdings besser an, als es oft praktiziert wird. Denn woher kommen denn die unzähligen Berichte und Buchtitel zu sinnlosem Leiden etc.? So z.B. von Ingrid Nonnenmann, „Lasst mich endlich sterben! Tagebuch meiner Mutter, die trotz Patientenverfügung leben musste.“

In einer eigenen Untersuchung haben die Ärzte herausgefunden, dass Autonomie am Lebensende ein vielfacher Wunsch ist. Weder möchten sie, dass allein Ärzte entscheiden, noch allein Angehörige. Dieser Wunsch erklärt auch, warum über Patientenverfügungen zwar viel gesprochen wird, aber nur eine Minderheit eine solche hat. Hier sind die Darlegungen für die verschiedenen Vorsorgeverfügungen (Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung) sinnvoll (Michael C. Neubert). Am Schluss des Buches hätten es aber ruhig etwas mehr Literaturempfehlungen, insbesondere zur „Patientenverfügung“, sein können.

Zur Palliativmedizin (also der schmerzlindernden Medizin) äußert sich der Palliativmediziner H. Christof Müller-Busch. Leiden so gut es geht zu lindern, belastende Krankheitssymptome unter Kontrolle zu halten, das ist die Aufgabe der Palliativmedizin, so Müller-Busch:
"Das Gesundheitsverständnis der Palliativbetreuung bedeutet (...) auch, trotz aller Aussichtslosigkeit des ‘Krankseins zum Sterben’ Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten und Tore der Erkenntnis (zu) öffnen, durch die das Erlebnis des Todes als etwas erfahren wird, das die universellen Zusammenhänge unserer Existenz bewusster werden lässt." Auch dies hört sich theoretisch sehr schön an, dürfte in der alltäglichen medizinischen Praxis aber an seine Grenzen stoßen.


Doch die Gefahr, dass Kranke moralisch genötigt werden, sich für den vorzeitigen Tod zu entscheiden; die Gefahr, dies finanziell zu begründen sowie die Gefahr, das Leben Schwerstkranker oder Behinderter grundsätzlich in Frage zu stellen, sind existentielle Folgerungen der medizinischen und gesellschaftlichen Entwicklung.

Das von Katrin Göring-Eckardt herausgegebene Buch möchte positiv wirken. Der Sterbeprozess soll mit allen medizinischen Möglichkeiten erleichtert werden, begleitet von Angehörigen und professionellen Helfern, die jegliche Unterstützung brauchen und erhalten sollen.
Der Umgang unserer Gesellschaft mit Sterbenden qualifiziert bzw. disqualifiziert uns.
Gerade die Hospizbewegung und viele Ärzte und Ärztinnen haben dafür gesorgt, dass dies keine Utopie mehr ist. Dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch viel zu tun gibt.

Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur gegenwärtigen Debatte und man wünscht sich, dass es vielerorts zu anregenden Gesprächen und Diskussionen genutzt wird. Grundsätzlich muss gelten, dass ein Sterben in Würde alle Todkranken berücksichtigen muss und diese medizinisch gut versorgt werden. Hier wäre eine 2- (oder 3-)Klassen-Medizin der Niedergang unserer gesellschaftlichen Grundwerte. Perikles’ zugeschriebener Ausspruch: „Ein Volk wird so beurteilt, wie es seine Toten bestattet“ (430 v. Chr.), hat heute immer noch seine Gültigkeit – wenn die Sterbenden auch mit einbezogen werden.


Katrin Göring-Eckardt (Hg.): Würdig leben bis zuletzt. Sterbehilfe - Hilfe beim Sterben - Sterbebegleitung - Eine Streitschrift
Gütersloher Verlagshaus; 200 Seiten, 14,95 €

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